Neuss. Bei vielen Schülern war er beliebt, unterrichtete am renommierten Quirinus-Gymnasium Neuss über 30 Jahre lang Englisch und Geographie. Albert Schovenberg (71) kauert heute weggesperrt auf seinem Bett, bricht immer wieder in Tränen aus. „Bitte holt mich hier raus, ich kann nicht mehr!“ Er lebt im härtesten Gefängnis. So herzlos und kalt müssen die brutalsten Terroristen und Mörder ihr Dasein nicht fristen. Die haben wenigstens Hofgang, dürfen Gottesdienste besuchen und mit Seelsorgern sprechen.
Der traurige Insasse Nr. 315 hat keine Lesebrille, sein Fernseher funktioniert nicht. Das Handy haben sie ihm weggenommen. Keine Wechselkleidung, kein Taschengeld, Albert Schovenberg kann nicht verstehen, wie er in diesen Horror hineingeraten ist. Auf dem Flur stolpern geistig schwerstkranke Menschen und hämmern an seine Zimmertüre. Sie urinieren in die Ecke, verkrampfen und koten vor seinem Zimmer in die Ecke. Die Pfleger sind kompetent und menschlich korrekt, putzen regelmäßig den stinkenden Unrat der anderen Bewohner weg.
„Hallo, wissen sie, warum der Albert eigentlich hier ist? Er ist doch ganz normal, überhaupt nicht krank“, fragt eine Pflegerin sichtlich verwundert den Besucher der Rheintoday-Redaktion, den sie durch mehrere Sicherheitsschleusen führt. Der Aufzug ist nur mit dem Schlüssel zu bedienen und führt in den dritten Stock. Das Treppenhaus ist zugesperrt. Überall hängen Überwachungskameras. Der einzige Besuch seit Wochen. Albert Schovenberg hatte die Adresse des Journalisten ausfindig gemacht, dem er vertraut. „Bitte hilf mir. Stelle Öffentlichkeit her. Nur das kann mich retten“, so sein Hilferuf mit Kugelschreiber auf Briefpapier geschrieben. Immer wieder fertigte er flehende Briefe und Postkarten, die andere für ihn aus der Anstalt schmuggelten. Viele fanden nie den Weg zum Empfänger. Zuletzt enthielt die Postkarte an unsere Redaktion nur einen Satz an den Chefredakteur: „Warum lässt Du mich so hängen?“
Die Adresse der Rheintoday-Redaktion konnte er von einem Honigglas entnehmen, dass ihm geschenkt wurde. „Bewohner 315“ wusste, dass der Journalist Hobbyimker ist. Wir fahren an die holländische Grenze nach Bedburg-Hau. Kloster 1. Till-Moyland heißt der hoffnungslose Ort, von dem Albert nicht mehr wegkommt. Die Ordensleute sind längst ausgezogen. Die Firma „Sowieso Haelthcare oder irgendwas mit home care“ hat den trutzigen Gebäudekomplex übernommen. Wir fragen uns durch, gelangen dann an eine freundliche Pflegerin, die den Sicherheitsbereich und die Schleusen für uns aufschließt.
„Endlich bist du gekommen. Ich halte es nicht mehr aus. Nur du kannst mir helfen. Berichte bitte über mein Schicksal. Mit vollem Namen. Das ist es, was die fürchten. Sie fürchten Öffentlichkeit“, so der Lehrer, der viel Pech im Leben hatte. Er will uns umarmen. Doch mit 71 und einer strengen Erziehung fällt die Umarmung zögerlich aus. Die Eltern dieser Generation haben Strenge einer menschlichen Nähe vorgezogen. Albert bricht in Tränen aus. „Gut, dass die jetzt merken, dass ich nicht vergessen, nicht alleine bin. Das schützt mich!“
60 Jahre zuvor: Sein Vater schlägt ihn regelmäßig windelweich. Ein Onkel bringt ihn dann endlich in ein katholisches Internat in Bad Münstereifel. Hier fühlt er sich wohl, baut ein gutes Abitur, studiert und wird Gymnasiallehrer am Quirinus-Gymnasium. Seine erste Ehe scheitert. Alle ahnen, dass seine Frau ihn nicht liebt. Albert ist wieder allein, trifft nach vielen Jahren eine Frau aus Georgien. Sie heiraten, Albert fühlt sich glücklich wie nie, unternimmt Reisen, zaubert romantische Picknicks für seine liebste und serviert seinen köstlichen „Herrensalat“ aus mürbe gekochten Rindfleisch und viel Gemüse. Die pikante Sauce ist Weltklasse! Dann endet diese Liebe wie so oft Romanzen mit Frauen aus Osteuropa oder Asien enden: Sie hat Heimweh, will nicht mehr mit ihm in Deutschland leben. „Sie sagt, dass wir in Deutschland nur für die Arbeit leben und nicht arbeiten, um zu leben“, erinnert sich Albert. „Ich konnte ihr damals noch nicht einmal verübeln, dass sie gegangen ist.“ Er hatte sie so sehr geliebt. Nie mehr hat er von ihr gehört. Sein Freund, ein Anwalt, organisierte die Scheidung.
Abends nach dem Unterricht am Neusser Elite-Gymnasium macht er sich eine Flasche Wein auf. Er trinkt beim Fernsehen. In der Quirinusstadt süppelt er gerne mit den Traditionshütern beim größten Schützenfest der Welt Altbier und schwört auf das extra für die Tage gebraute „Schützenbier“. Der Karneval ist auch nicht zu verachten, hier gibt es leckeren Likör mit einer Sahnehaube drauf. „Samtkragen“, etwas bitterer, ist auch lecker. Sein Leben empfindet er als bitter und süß. Allein ist er abends in seiner Wohnung, die ihm ein Schüler vermittelt hatte. Direkt im Zentrum. Er liebt die lokalen Medien und liest den Stadt-Kurier. Da hatte der Chef des Neusser Pressehauses, Eberhard Hücker, einmal gesagt: „In Neuss brauchst du nur irgendwo ein Fass Freibier hinzustellen. Dann kommen immer die gleichen Freibiergesichter.“ Der damalige Bürgermeister hat auch viel und gerne getrunken. Alles im Rahmen allerdings. Der Oberpfarrer hat in jenen feucht-fröhlichen Jahren den Namen „Don Promillo“, während der langjährige Oberkreisdirektor für seine Saufgelage gerne die damals noch vorhandene Sperrstunde aushebelte und mit dem Medienzaren gerne auf nächtliche Sauftour ging. Beide konnten ein gefülltes Malteser-Glas in der Innentasche ihrer Anzüge verschwinden lassen, ohne dass auch nur ein Tropfen des köstlichen Kümmelschnapses verschütt´ ging. Nach seinem deftigen Herrensalat half immer auch ein Malteser-Aquavit bei der Verdauung. „Man gönnt sich ja sonst nix“, lautet der Werbespot im Fernsehen. Albert kam auf die Idee, beim Neusser Malteser-Hilfsdienst anzuheuern. Die Jungs von der Feldküche waren super drauf. Schon während seiner Feldkochausbildung kreiste die Pulle. „Vertragen wir uns wieder“- so der Spruch. Beim Schützenempfang auf der Malteser-Wache war Albert Schovenberg sein zweitbester Kunde. Bester Kunde war ein anderer aus der Kochtruppe. Der damalige Chef der Neusser Malteser Einsatztruppe, Christoph Kluger, handelte und belegte die so genannte Malta-Bar (Innenstadt-Wache) mit einem strikten Alkoholverbot. Es gab Beschwerden, weil auch Minderjährige mit einer Alkoholfahne nach hause kamen. Degelmann hieß später der Malteser-Chef, der jetzt Boss eines Krankenhauses für psychisch kranke Menschen ist. Und eben auch für Alkoholiker und Quartalssäufer.
„Ja ich habe zu viel getrunken“, gesteht Albert Schovenberg der Rheintoday-Redaktion. Er hatte eine neue Liebe gefunden. Sie ist eine bildhübsche Spanierin und Stewardess bei Iberia mit häufigem Stopp in Düsseldorf oder Frankfurt. Es war eine schöne Zeit. Albert war glücklich. Dann komm Corona. Die Flugbegleiterin kommt nicht mehr. Flughäfen sind gesperrt. Albert verließ seine Wohnung kaum noch. Das Drama nimmt seinen Lauf.
„Ich haben den Fehler gemacht und bin auf Vodka Cola umgestiegen. Den Alkohol schmeckst du beim Fernsehen gar nicht. Als ich gemerkt habe, dass ich betrunken bin, bin ich schnell in mein Bett.“ Einmal hat Albert, ein guter und beliebter Malteser-Feldkoch, die berühmte Erbensuppe gekocht, die auch beim Schützenempfang oder beim Radrennen immer gereicht wird. „Jeder, der weiß, was bei getrockneten Erbsen zu tun ist, wird mir zustimmen, dass man die stundenlang ohne Salz kochen muss. Dann ist sehr viel Wasserdampf entstanden und die Rauchmelder schlugen an. Ich habe allen im Treppenhaus bescheid gesagt, dass keine Gefahr besteht. Es wurde aber dennoch die Feuerwehr gerufen“, versteht Albert Schovenberg die damalige Aktion nicht. Dem Einsatztrupp wurde gesagt, dass der Brandherd in der Wohnung in der oberen Etage sei. Der Aufzug endet aber an der vorletzten Etage. Zu Albert Schovenbergs Dachgeschoss-Wohnung hätte aber noch eine letzte Treppe genutzt werden müssen. „Die Feuerwehr hat ein Stockwerk unter meiner Wohnung die Wohnungstür des Sohnes meiner Vermieterin aufgebrochen und verwüstet. Ab da an wollten die mich weghaben. Ich sei eine Gefahr für die Hausbewohner“, erinnert sich Schovenberg. Zu seinem Betreuer hatte er immer ein gutes Verhältnis. Sie waren ja Freunde. Beide waren auch mit dem Sohn der Vermieterin eng befreundet. Der wollte Schovenberg aus dem Häuserblock entfernen und in eine sichere Einrichtung bringen lassen. Albert Schovenberg wurden einige Papiere gezeigt, die er auch unterschrieben hat. Einige Tag später finden ihn einige Männer vor seiner Wohnung ab und brachten ihn mit einem Transporter ins Heim „newcare home „. Das war Ende 2023. Seitdem sitzt er alleine in seinem Zimmer und hatte die ersten schlimmen Wochen kein Radio, keine Lesebrille und keinen funktionierenden Fernseher. „Angeblich kennt niemand den Code.“
Albert Schovenberg: „Ich halte es hier nicht mehr aus. Ich kann mit niemanden sprechen. Alle sind schwer geistig krank. Nur einmal in all den Monaten bin ich an die frische Luft gekommen. Für eine Stunde. Ich sehne mich nach den warmen Sonnenstrahlen, einer guten Zigarette, nach Menschen und meinem Fahrrad. Ich bitte alle meine ehemaligen Schüler, alle die mich mögen: Bitte helft mir, bitte, bitte holt mich hier raus!“ Eine Kontaktaufnahme ist über redaktion@rheintoday.de möglich.
Wir verlassen das schlimmste Gefängnis mit einem unguten Gefühl. Wie lange hält Albert Schovenberg sein schreckliches Dasein noch aus? Seit vier Monaten leidet er. Wir ahnen, dass nicht viele es so lange durchhalten würden.
Frank Möll