Neuss/ Düsseldorf. Mit dem Feuazeug mache ich Feua, ich fahre mit dem Rolla und springe gerne mit Guhmistifeln in eine Pfötze. Die nackten Fakten sind desolat: 20 Prozent der zehnjährigen Kinder in der vierten Klasse können kaum lesen, schreiben wie Analphabeten und rechnen grottenschlecht. Noch nie waren Grundschüler so ungebildet wie heute. Auch einige Jahre später bei Bewerbungsgesprächen ist mancher Personalchef fassungslos: „In den vergangenen 20 Jahren gibt es einen unfassbaren Bildungs-Absturz bei den Bewerbern. Vielen müssen wir erst noch Grundrechenarten beibringen und viele glauben auch, dass Golgota oder Golgatha eine Zahnpasta-Marke ist.“
Nachlassendes Lernstandniveau in Deutsch und Mathematik – das ist nach Ansicht der CDU nicht nur mit den Unterrichtsausfällen in der Corona-Pandemie zu erklären. „Wenn zum Beispiel Schüler fast aller Grundschulen zum Lernen und Arbeiten mangels ausreichender Klassenräume regelmäßig auf Flure ausweichen müssen, verwundert es uns nicht, dass die Lernergebnisse zu wünschen übrig lassen“, so Alana Voigt von der CDU-Fraktion Dormagen. Viele wünschen sich die kluge, junge Frau als Bürgermeister-Kandidatin der Dormagener Union. Im langjährigen CDU-Chef der Nachbarstadt Neuss, Dr. Jörg Geerlings, hat sie einen Fürsprecher und Impulsgeber. Er nahm ihre Gedanken auf und holte seine Parteifreundin Dorothee Feller zu einem Strategieaustausch nach Neuss. Die NRW-Schulministerin will gegen den Missstand ankämpfen und fordert von Bürgermeistern wie Erik Lierenfeld (Dormagen) und Reiner Breuer (Neuss), dass sie das Thema „Schule“ endlich zur Chefsache machen.
Alana Voigt geht das Messer in der Hose auf: „Faktisch hat die Stadtverwaltung Dormagen keinen Plan für die Zukunft der Dormagener Schulen. Bereits vor drei Jahren wurde der Sanierungs- und Erweiterungsbedarf allein in Dormagen mit 152 Millionen Euro für die Schulen beziffert. Passiert ist bislang nichts.“ Auch in Neuss ein ähnliches Bild: Hier werden die Kinder der Dreikönigengrundschule ins ferne Gewerbegebiet abgeschoben, weil das alte Gebäude inmitten des Viertels abgerissen werden musste. Jedes Jahr werden in Dormagen 50 Schülerinnen und Schüler von der Gesamtschule wegen Überfüllung in eine „Resteschule“ abgeschoben. Ein „Überlaufen“ droht auch der Stürzelberger St. Nikolaus-Grundschule, in dessen Umfeld Polit-Giganten wie der ehemalige Landtagsabgeordneter und mehrfacher Dormagener Bürgermeister, Peter-Olaf Hoffmann leben. Die kleine Schule ist für eine Zweizügigkeit und rund 50 I-Dötzchen gedacht. Doch allein im kommenden Jahr droht wegen der vielen Neubaugebiete, den kinderreichen Familien und der ukrainischen Flüchtlinge aus dem nahen Flüchtlingsheim „Heide“ eine Flut von mindestens 70 Erstklässlern. Schulklassen mit 35 Kindern will niemand, doch für drei Eingangsklassen gibt es weder Lehrer noch Räume. Seit Jahren wartet zudem die OGS auf einen Erweiterungsbau. Stadträtin Michaela Jonas hat zwei Kinder an dieser Schule: „Der Umgang der Kinder miteinander auf dem Schulhof ist deutlich rauer geworden als früher. Vor allem die Erstklässler werden oft getreten, geschubst und verprügelt. Hier braucht es mehr Präventionsmaßnahmen und mehr Aufsichtspersonen, damit sich kein ernsthaftes Gewaltproblem ergibt“ Die Lehrerinnen geben sich Mühe, doch können sie nicht überall sein. Planstellen sind nicht besetzt. Das gilt auch für die dringend notwendigen Sozialarbeiter oder Integrationshelfer. Experten kennen den Mechanismus: Auch Hühner in engen Legebatterien hacken sich aus Stress blutig. Ein Dilemma: Kommt der Neubau, verschwindet der jetzt schon zu kleine Bolzplatz. „Es ist nicht gut, wie wir mit unseren Kindern umgehen“, so die ehemalige Dormagener FDP-Chefin Katrin Vorwerk. „Manchmal habe ich den Verdacht, dass sich unsere Politiker bewusst dumme Untertanen heranzüchten wollen, denn ein dummes Volk kann durchregiert werden. Anders kann ich mir nicht erklären, warum nicht endlich etwas für die Qualitätssteigerung im Bildungsbereich getan wird.“
Auch der Unternehmer Andreas Neuenhausen scheint nah dran zu sein am drängenden Problem „Mangelbildung“. Er fordert von den Politikern nicht nur Sonntagsreden, sondern ein überlegtes und strategisches Handeln. Das Handwerk und der Mittelstand benötigt dringend gut beschulte Azubis.
Beim Treffen mit der Landesschulministerin Feller erklärte der sechsjährige Nicolas, dass er schon in der ersten Klasse vier bis fünf Lehrerinnen hat. Die Fachgruppe ist sich einig, dass dies die kleinen Kinder verwirrt. Zudem werde er oft in andere Klassen geschickt, weil er mit seinem Eimerchen im neuen Jahr lieber abgebrannte Feuerwerksraketen auf dem Schulgelände sammelt und allerlei Unsinn fabriziert, anstatt die „verliebten Zahlen (die Summe ergibt 10)“ aufzusagen oder sich über „Königsbuchstaben“ Gedanken zu machen, die vor einigen Jahrzehnten von den damals offenbar intelligenteren Schülern noch „Vokale“ genannt wurden. Schulministerin Feller sprach dem I-Dötzchen Mut zu und auch der Schulleiter der Privatschule Niederrhein, Markus Kuhl, ließ sich von Nicolas Erklären, wo mögliche Probleme sind. „Ich mache immer mit Micky quatsch. Er ist so lustig. Wir stören dann.“ Kuhls Tipp: Dann setze dich doch woanders hin!
Zu der Diskussion über „schulpolitische Ziele der Landesregierung und aktuelle Herausforderungen in den Schulen“ kamen viele Schulleiterinnen und Rektoren, die die IQB-Studie (Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen, Berlin) unter die Lupe nahmen. Hier weisen Wissenschaftler nach, dass sich die Kompetenzen der Viertklässler in Deutsch und Mathematik im Vergleich zur Untersuchung fünf Jahre zuvor dramatisch verschlechtert haben. Nordrhein-Westfalen befindet sich im Vergleich mit den anderen Bundesländern im unteren Drittel. „Das darf nicht so bleiben“, fordert Schulministerin Dorothee Feller. Eine Milliarde Euro stellt ihre Landesregierung für eine bessere Lehrerversorgung und die Digitalisierung zur Verfügung. Zudem will sie die mangelnde Lehrerschar durch Seiteneinsteiger ergänzen. Die von Stadträtin und Mutter Michaela Jonas identifizierte drohende Gewaltspirale sei ein gesamtgesellschaftliches Problem, habe aber an Schulen keinen Platz. „Schule und Bildung müssen in den Rathäusern Chefsache sein“, so Feller im Brustton der Überzeugung. Hier schaltete sich der kleine Nicolas wieder ein, der oft verprügelt und auch nachmittags von größeren Schülern abgezockt wird. „Ich wünsche mir, dass die Lehrerinnen besser auf mich aufpassen“. Doch dafür müsste es genügend geben. Frank Möll