Grippe schwächt Dormagener Kinder

Dormagen. Was haben Politiker eigentlich gegen unsere Kinder? Sie finden keinen Platz mehr im Vereinssport, bei den Tanzgarden, im Schwimmverein. Bei den Handball-Minis in der Knechtstedener Sporthalle gibt es einen Aufnahmestopp, die Turnstunden bei Nathaly Roggendorf in Stürzelberg sind dicht und bei den Anfänger-Schwimmkursen gibt es lange Wartelisten. „Das liegt auch an Corona. Viele Kinder konnten zwei Jahre lang nicht raus. Jetzt drängen alle in unsere Angebote“, analysiert Nathaly Roggendorf einen wichtigen Aspekt der Misere.

Bürgermeister Erik Lierenfeld war heute am frühen Morgen schon Studiogast im ARD-Morgenmagazin und sagte, dass angesichts der hohen Stromrechnungen seine Dormagener Bürger nun eher ein Schnitzel statt ein Steak bestellen. Foto: Frank Möll

Doch jetzt ein neuer Schock: Der Dormagener Energieversorger evd will vielen Kindern, deren Eltern die Stromrechnung auch nur einen Monat nicht bezahlt haben, den Strom automatisiert abdrehen. Damit läuft auch die Heizung nicht mehr. In der Nachbarstadt  Neuss ist diese kalte Praxis schon seit Jahren durch den dortigen SPD-Bürgermeister aktiviert worden. Hier gibt es viele Stromabstellungen. Der Dormagener Bürgermeister Erik Lierenfeld will aber nicht, dass es soweit kommt und schützt seine kleinsten Bürger vor Dunkelheit, Kälte und Angst. „Es ist wichtig, dass die Betroffenen Kontakt zur evd aufnehmen, dann wird immer eine Lösung gefunden“, so der Familienvater, der nders als sein Kollege in Neuss einen menschlicheren Kurs fährt.

Beim Schwimmbadbesuch zittern die Kinder, ihre Lippen laufen blau an. Wegen des Krieges in der Ukraine muss auch Dormagen viel Energie sparen. In den Schulen wird den Eltern schriftlich angeordnet, dass die Kinder mit langen Hosen zum Sport kommen müssen, weil die Turnhallen nicht mehr so warm wie früher sind. So wundert es nicht, dass die Dormagener Pänz derzeit so geschwächt sind wie lange Jahre zuvor nicht mehr. Eine Grippewelle dünnt die Schulen aus. Ganze Klassen brechen zusammen, weil über 60 Prozent der Kinder krank sind. 40 Grad Fieber, langer Verlauf, die kleinen Patienten quälen sich, husten stark und haben Gliederschmerzen.  Viele Lehrer und Erziehrinnen von Kitas haben sich zudem krank gemeldet. Überall nur noch Not-Betreuung! Und: Unsere Gesellschaft ist nicht in der Lage, dass die Apotheken Fiebersaft bereithalten. Fast überall ausverkauft! Einige Eltern mischen aus zerbröselten Paracetamol-Tabletten ihre eigene Medizin für die Kinder. Gefährlich, weil die genaue Dosis wichtig ist und Leberschäden die Folge sein können.

Und damit nicht genug: Die evd hat verfügt, dass auch Familien mit kleinen Kindern und Säuglingen nun effektiver und schneller der Strom abgedreht wird, wenn die Eltern mit der Ratenzahlung auch nur einen Monat im Verzug sind. Rheintoday liegt eine entsprechende Verfügung der evd vor. „Der Gesetzgeber hat zum 1. Oktober 2022 beschlossen, den Prozess zur Sperrung von Stromzählern bei Zahlungsrückständen zu automatisieren“, heißt es in dem Papier. Das bedeutet, dass der „Faktor empathischer Mensch“ offenbar durch einen kalten Vollstreckungs-Computer ersetzt wird. Demnach könne der genaue Tag der Sperrung „nicht mehr mitgeteilt werden, sondern lediglich der Zeitraum, zudem seien „Terminverschiebungen nicht mehr möglich, eine Stornierung des Sperrauftrages nur noch bei Zahlung möglich“. Wenn aber der säumige Kunde das Geld zusammengekratzt hat und zum Beispiel bei der evd direkt an der Kasse zahlt, dann ist eine teure Entsperrung des Zählers „nicht mehr am selben Tag“ möglich, sondern kann bis zu zwei Tagen Wartezeit bedeuten, in dem sich die kleinen Kinder in Dormagen weiter in der Dunkelheit ängstigen und frieren müssen. Bürgermeister Lierenfeld muss morgen früh sehr zeitig aufstehen, weil er dem ARD-Morgenmagazin zum Thema „Energie“ als Interviewpartner zur Verfügung stehen wird. Er hat mehrfach versprochen, dass bei einer drohenden Stromsperre eine Lösung gefunden wird. „Wichtig ist, dass die Kunden mit dem Stromanbieter sprechen und nicht den Kopf in den Sand stecken“, so Bürgermeister Erik Lierenfeld vor dem Rat der Stadt Dormagen.

Ratsmitglied Michaela Jonas von der UWG sieht in dieser Verfügung ebenso ein Missverständnis. Sie betont, dass Bürgermeister Erik Lierenfeld niemanden den Strom abstellt, der sich um eine „Lösung bemüht“. Zudem gebe es einen Not-Fond der Stadt, um eine Sperrung des Stroms insbesondere bei Haushalten mit kleinen Kindern abzuwehren.

Kinderschutzbund-Präsident Heinz Hilgers ist sehr traurig über das miserable Klima in Deutschland, was den Umgang mit unsren Kindern betrifft. Er hat sich im Streit um das geplante Bürgergeld gegen Sanktionen für Familien mit Kindern ausgesprochen. „Die Sanktionen treffen meistens nicht diejenigen, die morgens mit der Bierflasche am Bahnhof sitzen“, so Heinz Hilgers, der mit seiner Familie in Delhoven wohnt. „Am meisten leiden Kinder unter den Sanktionen. Es sollte generell verboten werden, dass Familien mit Kindern finanzielle Sanktionen erhalten,“ fordert der ehemalige Bürgermeister der Stadt Dormagen und attackiert insbesondere den Multimillionär Friedrich März von der CDU.

Hilgers rief die Union und die Ampelparteien auch dazu auf, ihre „Spielchen“ zu beenden und das Bürgergeld nach den Plänen der Ampelkoalition umzusetzen. „Eine fehlende Einigung würde vor allem Familien und Kindern schaden“, sagte er. Der Präsident des Kinderschutzbundes mahnte zudem, dass danach zügig die Pläne der Ampelkoalition für eine Kindergrundsicherung umgesetzt werden müssten. Heinz Hilgers sagte einmal der Redaktion von Rheintoday: „Der Staat klaut den Haushalten mit Kindern das Schwein vom Hof, um ihnen dann gönnerhaft ein paar Koteletts über den Zaun zu werfen“. 

Hilgers will weiter für die Kinder auch in Dormagen kämpfen und macht sich zudem Sorgen um den desolaten Zustand der Grundschulen. Lehrermangel und eine schlechte Ausstattung sorgen auch in Dormagen für Frust. Wenigstens stellt Bürgermeister Erik Lierenfeld in dieser Woche mehrere neue Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter ein, um die Lehrerinnen und Lehrer zu unterstützen. Und: Nach dem Weggang des Beigeordneten Robert Krumbein wird Erik Lierenfeld das Ressort „Schule“ selbst leiten und dieses wichtige Thema zur Chefsache machen. „Das begrüße ich sehr“, so Michaela Jonas von der UWG.

In einer vorherigen Version dieses Beitrags war davon die Rede, dass Bürgermeister Lierenfeld als Aufsichtsratsvorsitzender selbst die Verfügung der evd erlassen hat. Das stimmt aber nicht. Hier sein Statement als Reaktion auf die erste Version des Rheintoday-Artikels:

„Leber Frank, ich weiß nicht welche Informationen du meinst zu besitzen. Einige Dinge sind allerdings einfach falsch und nicht existent:
1. Die Heizungen in den Turnhallen sind nicht abgeschaltet, sondern so reduziert wie es in den entsprechenden Richtlinien vorgesehen ist.
2. Es kann gar keine Verfügungen von mir in Sachen evd geben. Als Aufsichtsratsvorsitzender bin ich gar nicht befugt mittels Verfügungen oder so ins operative Geschäft der evd einzugreifen. Außerdem verweise ich auf öffentliche Aussagen der evd das eben nicht einfach so der Strom abgestellt wird. Vor allem nicht bei Haushalten mit Kindern. Wichtig ist aber das die Betroffenen Kontakt zur evd (oder dem sonstigen Stromanbieter) aufnehmen. Dann wird immer eine Lösung gefunden, dass der Strom nicht abgestellt werden muss. Eine Automatisierung gibt es folglich nicht.
Anmerkung der Redaktion: Bürgermeister Lierenfeld hat recht.

Frank Möll

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