Frauen gehen Neusser Schützen auf den Sack

Neuss. Bislang wurden die Umfragen „geschönt“ wiedergegeben. Fakt ist aber: Mehr als 70 Prozent der Neusser schützen wollen nicht, dass Frauen im Regiment mitmarschieren. Alibimäßig haben sie bei Umfragen wenigstens zugestimmt, dass Frauen „passiv“, also defizitär dabei sei dürfen. Sie dürfen auch den vollen Beitrag zahlen – den Maat eropp sollen sie aber nicht marschieren. Schützenkönig, Oberst oder Major dürfen sie auch nicht werden.

Der eigentliche Hauptgrund, warum Neusser Frauen auch als vollwertige Schützen-Bosse mitmischen wollen: Hier gibt es in Spitzenrestaurants auch immer etwas zu essen. Foto: Frank Möll
 
Alle. Können. Schützen – unter diesem Slogan haben sich einige Bürgerinnen zusammengschlossen, um ihre Interessen durchzudrücken. Die Wortführerinnen sind die Ehefrauen zweier hoch angesehener Neusser Schützen. Walburga Ackermann und Monika Baaken.
Und ja, sie leiden unter den derzeitigen Gegebenheiten. So ist es trotz katholischer Morallehre auch in Nüss schon vorgekommen, dass in den Zügen Ehen oder Beziehungen zerbrechen. Praktisch ist, wenn in einem Zug die eine Ehefrau zum anderen Schützenkameraden wechselt. Dann bleibt sie Mitglied der Gemeinschaft. Findet eine verstoßene Ehefrau innerhalb des Zuges aber keinen neuen Partner, ist sie raus. Bei einem Zug zum Beispiel (es sind diesmal nicht die Scheibenschützen gemeint) brachte ein „Traditionshüter“ während seiner 15-jährigen Mitgliedschaft über die Jahre folgende Frauen mit zum Sonntag-Mittagessen in den Drusushof: Katrin, Judith, Jennifer, Isabel, Dagmar, Jenny, Lisa Marie, Phonphimon. Von diesen acht Frauen sind also sieben aus der Zuggemeinschaft ausgeschieden. Allerdings freiwillig, denn sie haben mehrheitlich den traurigen Gesellen verlassen. Dennoch: „Etliche Frauen haben uns vom Gefühl, nicht mehr dazuzugehören, berichtet, wenn Beziehungen zerbrechen oder Freundschaften zu Zügen sich verlieren. Das trifft auch auf die zu, die nicht mehr in Neuss leben und sich trotzdem weiterhin mit Neuss und diesem Fest identifizieren. Im Unterschied zu den Schützen haben Frauen keine Möglichkeit, eine eigene, den Schützen gleichgestellte Feiergemeinschaft zu suchen. Daran ändert auch die neue Satzung nichts“, analysiert Walburga Ackermann die Lage.
Und weiter: „Der November ist traditionell der Monat des Totengedenkens. Man ist geneigt, dem Neusser Bürgerschützenverein zu attestieren, mit dem Totensonntag einen passenden zeitlichen Rahmen für seine Jahreshauptversammlung und die anstehende Satzungsdiskussion gewählt zu haben. Die öffentlichen Äußerungen von Thomas Nickel und Martin Flecken im Interview mit der NGZ vom 21.11.23 zum Vorschlag einer neuen Satzung für den NBSV veranlassen uns Stellung zu beziehen. Zunächst einmal vorweg: Wir verstehen die schwierige Gemengelage, in der sich der Verein und die Satzungskommission befunden haben und immer noch befinden, einen Entwurf zu präsentieren, der die Zustimmung einer Zweidrittelmehrheit der anwesenden Schützen findet. Deshalb ist auch immer von einem „Mittelweg“ und einer „Politik der kleinen Schritte“ die Rede. Auf der letzten Jahreshauptversammlung, bei der wir anwesend waren, war die ablehnende Haltung gegenüber Frauen im Verein in vielen Diskussionsbeiträgen deutlich spürbar. Dies erfordert von der Vereinsspitze Führungsstärke, klare Richtlinienvorgaben und von seinen Mitgliedern eine ehrliche Diskussionskultur“, so die beiden Kämpferinnen Baaken und Ackermann.
 

Eine Mogelpackung

„In der Frage der Gleichberechtigung von Frauen gibt es keinen Mittelweg. Entweder ich befürworte sie, und dann muss diese Haltung auch Handlungsmaxime für den Verein sein, oder ich bin dagegen.
Bei aller Anerkennung für die in der Satzungskommission geleistete Arbeit müssen wir leider feststellen, dass es sich bei dem nun präsentierten Vorschlag um eine Mogelpackung handelt. Der Kern des Festes ist es, an Schützenfest in einer Zuggemeinschaft durch die Stadt zu marschieren und zu feiern und auch das Jahr über Zusammenhalt und Freundschaft in der Zuggemeinschaft zu pflegen. Durch den juristisch geschickten Schachzug, zwischen Mitgliedern des Vereins und aktiven Regimentsschützen zu differenzieren, bleibt dieses zentrale Vereinsziel den Nüsser Röskes weiterhin verwehrt. Wir fragen: wo ist da der Fortschritt gegenüber der jetzigen Situation? Unsere Mitgliedsbeiträge sind selbstverständlich willkommen, wir könnten bei der Zog-Zog-Versammlung „gegen das Schützenfest abstimmen“ und in einer Hauptversammlung zum Beispiel beantragen, ein Frauenkorps gründen zu wollen“, wofür man natürlich eine Zweidrittelmehrheit bräuchte.
 
Das ist sei kein vereinspolitischer Fortschritt, sondern die Etablierung einer Zweiklassengesellschaft innerhalb des Vereins. Mit Gleichberechtigung habe das wenig zu tun.
Auch anderen Aussagen der Interviewten könne man, nein frau,  leider nicht zustimmen. Es werde festgestellt, dass niemand ausgeschlossen wird, „das haben wir nie getan“. Hier wird die männlich geprägte Wahrnehmungswelt des Festes deutlich, die mit den tatsächlichen Erfahrungen vieler Frauen nicht übereinstimmt. Etliche Frauen haben uns vom Gefühl nicht mehr dazuzugehören berichtet, wenn Beziehungen zerbrechen oder Freundschaften zu Zügen sich verlieren. Das trifft auch auf die zu, die nicht mehr in Neuss leben und sich trotzdem weiterhin mit Neuss und diesem Fest identifizieren. Im Unterschied zu den Schützen haben Frauen keine Möglichkeit, eine eigene, den Schützen gleichgestellte Feiergemeinschaft zu suchen. Daran ändert auch die neue Satzung nichts.
Viele Formulierungen im Interview machen außerdem deutlich, dass man darauf setzt, das Thema der aktiven Teilhabe von Frauen möglichst weit ins „Nirgendwann“ zu schieben: „Vielleicht wollen sie es Frauen kommender Generationen einmal ermöglichen, Regimentsschützinnen zu werden“. Das macht einen wirklich sprachlos.
Offensichtlich hat man im Neusser Schützenkosmos von der Welt des Jahres 2023 da draußen nicht viel verstanden. Hier werden Frauen, die eine verfassungsrechtlich garantierte Selbstverständlichkeit einfordern, eher als Störfaktor oder sogar Bedrohung wahrgenommen. Man inszeniert Drohszenarien, etwa von der Mobilisierung von „Aktivisten … aus ganz Deutschland“, die dem Verein beitreten könnten. Wieviel Verzweiflung und Angst spricht aus solchen Worten? Ähnlich wie bei der Drohkulisse, die vor und an Schützenfest vor angeblichen schlimmen Aktionen unsererseits aufgebaut wurde, gilt auch hier: Es ist besser miteinander als übereinander zu sprechen!
„Und da haben wir bisher leider schlechte Erfahrungen gemacht. Im Interview wirft man uns indirekt vor, dass wir uns nicht schriftlich mit eigenen Vorschlägen an die Satzungskommission gewandt hätten. Wie perfide ist das? Unsere Weihnachtsmail an den Präsidenten vom letzten Jahr, in der wir ein gemeinsames Gespräch angeboten haben, ist bis heute unbeantwortet.
Über die Einrichtung und Zusammensetzung der Satzungskommission haben wir aus der Presse erfahren und es gab die strikte Anweisung der Vereinsführung an alle Beteiligten, mit niemandem über die Beratungen in diesem Gremium zu sprechen. Im Laufe des Jahres hätte es viele Gelegenheiten gegeben mit uns persönlich zu sprechen – man hat stattdessen über uns mit der NGZ gesprochen. Daraus kann man eigentlich nur einen Schluss ziehen: Der Austausch mit unserer Gruppe Alle.Können.Schützen war und ist ganz klar nicht gewollt. Das sollte die Vereinsspitze auch ehrlich kommunizieren.
Die Kinderparade hat alle begeistert und damit mehr als deutlich gemacht: Die Zukunft des Schützenwesens liegt in einer gleichberechtigten Teilhabe aller an allen Facetten des Festes. Warum sollte das, was im Kindesalter gelingt und allen, Teilnehmern wie Zuschauern, Freude macht, im Erwachsenenalter nicht genauso funktionieren?“
Dorothee Stahl

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