Europa geht junge Menschen besonders an

Neuss. Das Augustinus Forum in Neuss am 15. November war eine der interessantesten Veranstaltungen dieser Reihe. Es ging um die derzeitige Situation der Europäischen Union und es wurde über deren zukünftige Ausgestaltung und Entwicklung in sehr lebendiger Weise diskutiert. Es wurde sehr stark deutlich, dass Europa gerade die jungen Menschen sehr viel angeht, weil diese die Zukunft Europas sind.

Zu Beginn sprachen der Schulleiter der Neusser Europaschule Marie-Curie-Gymnasium Stefan Holl sowie Juliane Pickartz (17) aus der Jahrgangsstufe 12 des Gymnasiums und Michael Brown (17), der seine familiären Wurzeln in Schottland hat, darüber, dass sich das Thema Europa durch das gesamte Curriculum der Schule zieht und dass Fremdsprachen – Englisch, Französisch und Spanisch – besonders gefördert werden. In Erdkunde und Geschichte findet der Unterricht ganz in englischer Sprache statt. Juliane Pickartz berichtete, dass sie sogar die Chance gehabt habe in einer Projektwoche der Vereinten Nationen in New York teilzunehmen, während der Schüler aus der ganzen Welt gemeinsam die politischen Entscheidungen, die auf der Agenda der Vereinten Nationen stehen, nachgestellt und die aktuellen Themen diskutiert der Weltpolitik diskutiert haben. Besuche an Partnerschulen in anderen europäischen Ländern – etwa in England, Italien und Polen – sowie entsprechende Gegenbesuche der Schüler der Partnerschulen sind ein weiterer Baustein der vielfältigen schulischen Erziehung und Bildung am Marie-Curie-Gymnasium, dergestalt, dass die Schüler weltoffen werden und in globalen Zusammenhängen zu denken lernen.

Im Fokus des Abends stand im Folgenden Europa, das derzeit in starken Turbulenzen ist. Es wird immer wieder gesagt, dass Europa gerade durch Krisen stärker geworden ist. So viele Krisen wie Europa derzeit erlebt und in der jüngsten Vergangenheit erlebt hat, sind allerdings eine Herkules-Aufgabe, die die EU zu bewältigen hat. Die Wirtschafts- und Finanzkrise, die Pandemie, der russische Angriffskrieg in der Ukraine und dadurch bedingt die derzeitige Inflation in Europa und seine Folgen für die Energieversorgung. Weiterhin stehen die zukünftige Gestalt der Union, die Klimakrise und die Herausforderungen irregulärer Migration derzeit ganz oben auf der politischen Agenda Europas. 

 

Nach dem Zweiten Weltkrieg gegründet, war die EU das Projekt, um einen erneuten Krieg in Europa auf Dauer unmöglich zu machen.  Wirtschaftliche Verflechtungen, Mobilität und Rechtsetzungen führten zu großen europäischen Integrationsschritten. Gerade in diesen Tagen der furchtbaren Kriege in der Ukraine und in Israel muss sich Europa als kraftvolles und solidarisches Friedensprojekt zeigen, das seine Rolle in der globalen Sicherheitsarchitektur einnimmt.

 

Wie gelingt es Europa, seinen Platz in der weltweiten Staatengemeinschaft zu stärken? Wie kann Europa wirtschaftlich erfolgreich und sozial gerecht sein? Wie ist mit der Angst vor dem Verlust nationaler Identität umzugehen, wie mit den Rechtsaußen? NRW-Europaminister Nathanael Liminski, der Europawissenschaftler Professor Dr. Michael Kaeding und Anita Mikolajczak, amtierende Generalkonsulin der Republik Polen diskutierten über die Zukunft Europas. Die Moderation lang in den Händen der ehemaligen Leiterin diverser ARD-Auslandsstudios Hanni Hüsch, eine Tochter des unlängst verstorbenen CDU-Urgesteins Dr. Heinz-Günter Hüsch, die in Neuss ein Heimspiel hatte.

 

Nathanael Liminski stellte in Neuss unter Beweis, dass er unter den jungen CDU-Politikern auf Grund seiner blitzgescheiten Analysen, seines glasklaren Denkens und seiner Vision zur Zukunft Europas, das seiner Meinung wieder ganz deutlich die Rolle einer Friedensmacht einnehmen und die Integration der Länder des Westbalkans vorantreiben sollte, ein großer Hoffnungsträger in der Politik ist, Die Familie seines Vaters stammt aus Schlesien, seine Mutter stammt aus der Bretagne, in Neuss bezeichnete sich Liminski daher als „Regionale Inkarnation des Weimarer Dreiecks“.   Er studierte er Mittelalterliche und Neuere Geschichte im Hauptfach mit den Nebenfächern Politikwissenschaft und Staatsrechtslehre an der Universität Bonn und verbrachte ein Auslandssemester an der Pariser Universität Sorbonne. So war er schon früh polyglott.             

 

Der NRW-Europaminister konstatierte „Wir erleben in Krisen den Mehrwert Europas und andererseits stoßen wir an Grenzen. Der Krieg in der Ukraine hat das Bewusstsein für Freiheit zurückgebracht.“ Er führte weiterhin aus, dass sich Europa in dieser Krise deutlich besser geschlagen habe, als am 24 Februar 2022 vorausgesagt.

Auf die Haltung der Polen zum Brexit angesprochen, sagte die amtierende Konsulin der Republik Polen in Köln Anita Milajczak, dass in Großbritannien mehr Polen als in Nordrhein-Westfalen lebten. Aus Sicht der Polen wollte man die Entscheidung der Briten respektieren. Generell befand sie, dass mehr Bildung zu dem Thema notwendig sei, was die EU sei. Mit seinem Beitritt im Jahre 2004 habe Polen Ja zur Sicherheit gesagt. Ganz wichtig seien auch Stabilität und Frieden und dann Freiheit.

 

Michael Kaeding ging darauf ein, dass es derzeit bei den Bürgern eine Europa-Müdigkeit gibt. Seit den 1980er Jahren werde eine parteipolitisch organisierte Europa-Skepsis vermehrt wahrgenommen. Sehr viel liege daran, wie wir über die EU kommunizieren und welche Erzählungen. Krisen auch Chancen dargestellt werden und es gelte, auch andere Erzählungen zuzulassen.

 

Liminski nahm dazu Stellen, dass in Europa Parteien mit einer strammen nationalen Agenda auf dem Vormarsch sind. Es beunruhige ihn sehr, dass die AfD bei Europawahl 2024 in Deutschland stärkste Kraft werden könnte. Es gehe darum, was das Land dazu beitragen könne, für Migration, Wirtschaftskrise und die Klimakrise überzeugende Antworten zu geben. In puncto Sicherheitspolitik gebe es derzeit eine Erschütterung von Selbstverständlichkeiten.

Der Europaminister hob weiterhin hervor, man müssen sich auf Sachfragen konzentrieren. Bei einer Befragung in Bayern von 16 bis 18jährigen sei die AfD erschreckend weit vorne gewesen.

Anita Milajczak legte dar, dass das polnische Volk sehr europafreundlich sei, was ein Widerspruch zu der bisherigen antieuropäischen Regierung der PiS Partei ist. Die Regierung der PiS-Partei hatte eine Justizreform durchgeführt, die gegen das EU-Prinzip der Rechtsstaatlichkeit verstößt. Michael Kaeding erklärte, dass aus Warschau sehr viel Parteipolitik gemacht werde. Nathanael Liminski erklärte, es gebe eine starke Diskrepanz zwischen Europafreundlichkeit in den polnischen Regionen und der polnischen Regierung. Es gebe eine hohe Diskrepanz zwischen der urbanen Bevölkerung und dem ländlichen Raum. Zu Berlin und Paris müsste eigentlich Warschau dazu kommen, fügt er hinzu. „Da gibt so viel Kultur und europäische Geschichte – wenn man das weckt, da gibt es ein großes Potenzial“ unterstrich Limiinski.

 

Im Jahr 2022 lebten rund 2,2 Millionen Menschen mit einem polnischen Migrationshintergrund in Deutschland. Mit anteilig 9,2 Prozent der Bevölkerung mit Migrationshintergrund hierzulande sind Menschen mit Bezügen zu Polen die zweitgrößte Einwanderer-Community. Von ihnen haben über 1,2 Millionen eine polnische Staatsbürgerschaft: Rund 881.000 haben nur die polnische Staatsbürgerschaft. Vermutlich sind weitere etwa 360.000 polnische, sowie deutsche Staatsbürger.  Mit mehr als 200.000 Menschen leben die meisten Polen in Nordrhein-Westfalen, gefolgt von Bayern, Niedersachsen, Baden-Württemberg, Hessen und Berlin.  Bei der Parlamentswahl in Polen am 15. Oktober 2023 stimmte eine außerordentlich hohe Zahl polnischer Auslands–Wähler mit ab. Der Zuwachs unter Polen in Deutschland war besonders hoch – 101.500 Personen gaben ihre Stimme ab, über 70 Prozent für liberale oder linke Oppositionsparteien. So trugen die Stimmen der deutschen „Polonia“ (deutsch.: im Ausland lebende polnische Gemeinschaft) trugen dazu bei, dass die nationalkonservative Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) ihre Mehrheit im Sejm, der bedeutenden Parlamentskammer in Warschau, verlor.

Zu der Frage „Wie gehen wir mit Staaten um, die Europa bewusst torpedieren?“ stellte Michael Kaeding fest „Man muss sich gut überlegen, Staaten vor die Tür zu setzen.“ Er macht deutlich, dass die Stimmen großer Länder wie die der kleineren Länder zählen, so sind etwa die Stimmen von Luxemburg und Malta genauso wichtig wie die Stimme Deutschlands. Wichtig, so Kaeding, sei, dass wir nicht nur etwas über Frankreich hören, sondern auch über Portugal und Zypern, die auch ein Vetorecht haben.

 

Zu einem Veto Ungarn in Sachen Flüchtlingspolitik sagte Liminski man miteinander sprechen, gerade dann, wenn man nicht einer Meinung seine. Deutschland und Ungarn verbinde sehr viel in der Geschichte. Allerding sei die Rechtsstaatlichkeit ein Prinzip, das unverhandelbar sein. In Ungarn haben es etwas eine Einschränkung der Pressefreiheit gegeben. „Wir müssen den Konflikt auflösen, Ungarn ist Mitglied und wird es bleiben. Wir müssen diese Souveränität bewahren und auch im Konflikt miteinander reden“, erklärte der Minister nachdrücklich.

Schließlich wurde die Frage behandelt, ob die Europäische Union auf Grund ihrer Größe an ihre Grenzen stoßen und wo wird EU in 30 Jahren sein werde. Michael Kaeding geht von 35 Mitgliedstaaten aus und sprach sich für ein Europa der verschiedenen Geschwindigkeiten aus. Wichtig sei, dass alle Mitglieder realisierten, dass sie nur über die EU und einen Zusammenschluss wieder Souveränität und Gestaltungsmacht gewinnen könnten. Es werde einen Kern von Ländern geben, die in gewissen Bereichen voran gehen. Wichtig seien Stabilität, Sicherheit usw. Der Gedanke eine Kerneuropa ist indes nicht neue und wurde bereits in den 199er Jahren von den CDU-Politikern Wolfgang Schäuble und Karl Lamers aufgegriffen.

 

Nathanael Liminski hob mit aller Deutlichkeit hervor, dass es nicht wichtig sei, dass die Regulierung in ganz Europa gleich sei und es überall den gleichen Mindestlohn geben. Wichtiger sei, dass die Länder des Westbalkans, die schon 18 Jahre Beitrittskandidaten seien, nun Schritt für Schritt in die EU integriert würden. Europa als Friedensgemeinschaft – dies, so Liminski, hätte immer die älteren Menschen gesagt, bei jüngeren Menschen habe dieses Argument nicht mehr verfangen, sie hätten den Frieden als selbstverständlich hingenommen. Aktuell bekomme der Friedensgedanke aber wieder eine große Bedeutung.

An dem Abend in Neuss wurde ganz klar, dass eine stabile, sichere, dem Frieden, der Freiheit und den Menschenrechten verpflichtete Europäische, für die eine gemeinsame Armee keine Utopie sein sollte, von vitalem Interesse für die jungen Menschen in Europa, für die das völkerverbindende Element der Gemeinschaft der größte Gewinn ist. 

Christian Dick

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