Ein Schwarzer Genosse

Bürgermeister Breuers Machtdemonstration schadet dem Lukas

Bürgermeister Reiner Breuer auf dem Neusser Münsterplatz. Foto: Frank Möll

Neuss. Zielsicher strebt er auf die Bühne, langer Mantel, Schal und die Haare nach hinten gegelt. Spitze Lippen sorgen für Lacher im durch Frei-Glühwein launisch gestimmten Publikum. Der beliebte Bürgermeister Reiner Breuer eröffnet den Adventsmarkt 2019 noch ohne OP-Maske vor dem Quirinusmünster und vermeidet das Wort „Weihnachten“, was Oberpfarrer Msgr. Guido Assmann, nach Schützenkönig Kurt Koenemann protokollarisch der zweitwichtigste Mann in Neuss, sehr freut.

Vor 400 Gläubigen hatte Assmann Breuers Tochter in der Basilika feierlich getauft und Breuer lässt das Rathaus mit vom katholischen Pfarrer gesegnete Kreide von den Sternsingern katholisch segnen. Advent ist Buße. Weihnachten ist Freudenfest. Das ist noch nicht an jenem grauen Tag im Dezember.
Ob er sich heute im September 2021 manchmal fragt, ob er alles richtig entschieden hat? Nicolas Krämer, Chef des Lukaskrankenhauses, war ein Mann mit Fortune. Vieles, was er anpackte, entwickelte sich erfolgreich. Krämer sieht gut aus, nutzt manchmal Gel für die Haare. Wie Breuer, der auch eine aparte Erscheinung ist. Allerdings zwei Köpfe kleiner als Krämer. Die böse Stiefmutter von Schneewittchen hat niemanden in ihrem Reich geduldet, der auch gut aussieht.

Das Problem von Reiner Breuer ist, dass er als Fan von Borussia Mönchengladbach mitunter falsche Entscheidungen trifft.

Wie der erfolgloseste Gladbach-Präsident aller Zeiten: Abstieg, kein Wiederaufstieg. Finanzielles Harakiri bei den Fohlen. Bei Gladbach als Präsident hat der neue Rheinlandlukas-Chef Jacobs genauso agiert wie heuer im Neusser Klinikverbund: Hohe Fluktuation des Führungspersonals (vier Trainer in knapp zwei Jahren), dem Coach immer in die Taktik reingeredet und Geld zum Fenster rausgeworfen. Sein Nachfolger (Jordan) musste den Club erstmal finanziell sanieren.

Jacobs wurde nach Neuss geholt, weil er angeblich die AOK‘ en Rheinland und Hamburg so super fusioniert hat. Das war vor 15 Jahren. Beide Institutionen hatten lange Zeit unterschiedliche IT-Systeme…

Die Bilanzen des Katholischen Karl-Leisner-Klinikums entwickelten sich desaströs. Dort musste er gehen. Aus Altersgründen. In Neuss galt er mit seinen damals 75 Jahren aber als „Talent“. Krämers Vorgänger Siggi Rüsken hatte ihm nach seinem Ausscheiden aus dem AOK-Vorstand einen fetten, rheinischen Beratervertrag für das Lukaskrankenhaus gegeben. Den hatte der Hanseat Krämer beendet. Aufgrund der Kohle, die das Rathaus über Jacobs ausschütten ließ, hätte er geschmäcklemäßig nie Aufsichtsratsvorsitzender in Neuss werden dürfen. Seitdem Krämer den Geldfluss stoppen ließ, hatte dieser einen guten Freund. Gut, dass Nicolas Krämer in launiger Interview-Atmosphäre dem ehemaligen Stadt-Kurier-Journalisten André Scheidt gesagt hat, dass manche Krankenschwester vielleicht den Traum habe, einen reichen Chefarzt zu angeln. Wir kennen das vom ZDF, wo Pflegerin Gabi Dohm den Professor Brinkmann vor den Traualtar zerren konnte. Dieser Gag war nun für Bürgermeister Reiner Breuer ein Kündigungsgrund, denn die, die sich darüber beschweren, dass es wegen den Moslems keine Currywurtst aus Schweinefleisch mehr im städtischen Schwimmbad gibt, sind Nazis. Und die, die Parallelen zur Schwarzwaldklinik und Schwester Christa ziehen, sind Sexisten. So sind die Schubladen im Nüsser Rathausbau, der von Hitlers Freund und Architekt Speer inspiriert ist, schlicht beschriftet.

Die unfassbar hohe Abfindung, die Breuers Leute an Krämer zahlten, könnte die Currywurst-Versorgung im VW-Konzern über Jahre sicherstellen. Der dumme Neusser zahlt.

Aber Breuer ist manchmal auch ein Gewinn für Nüss.  Er, 52,  ordnet an, dass während der Heiligen Messen in der Basilika keine laute Berieselungsmusik gespielt werden darf. Der heutige Dompropst Assmann und der oberste Amtmann mögen sich. Assmann taufte wie gesagt Breuers Tochter in der heiligsten Osternacht vor 400 erfreuten Gläubigen. Neusser sind happy, wenn auch Sozis im Herrn den Heiland erkennen und verloren geglaubte Söhne bekommen dann auch ihre Stimme, wenn sie ins Bild passen. Mehr als die, die immer schon da waren und doch eigentlich auch eine ordentliche Politik gemacht haben. Breuer holte am 13. September 2015 im ersten Wahlgang 54,1 Prozent und rang den CDU-Schützenpräsident und Vorsitzenden des Katholikenrates, Thomas Nickel (36, 3 Prozent), nieder. Genosse Reiner Breuer sitzt fest auf seinem Thron im Rathaus als drittwichtigster Neusser und als erster Nicht-CDU´ler seit Menschengedenken im Chefzimmer, wo Adenauer und Kardinal Frings schon Tee getrunken und Muhammad Ali sich ins Goldene Buch eingetragen hatten. Nach diesem Super-GAU musste die CDU erstmals seit Bestehen der Bundesrepublik die Amtsinsignien an die SPD abgeben.

„Er kann Bürgermeister“, sagt der frühere Gewerkschaftsboss und IG-Metaller Manfred Schallmeyer, nachdem er seine Nachbarin und Bundestagsabgeordnete Anni Brandt-Elsweier beerdigt hat und meint ihren ehemaligen Angestellten von der Sozialdemokratischen Gemeinschaft für Kommunalpolitik. Die große Dame der SPD-NRW betitelt den nassforschen Jüngling allerdings bei einer Pfirsich Melba in einer Eisdiele als „Arschloch“ und wollte dem cleveren Jungsozialisten eigentlich keinen Job geben, als der ehemalige Messdiener und SPD-Parteichef Benno Jakubassa die immer elegant gekleidete Frau bat, seinen damals arbeitslosen Schützling unterzubringen. Denn der drohte, Neuss zu verlassen. Als ehrenamtliches Ratsmitglied kann er keine Familie ernähren, er brauchte einen Job. Jakubassa kontert bei einem Herrengedeck, dass Reiner Breuer nicht das erste „Arschloch“ in der SPD wäre, das Partei-Karriere macht. Denn er hat großes vor mit dem roten Reiner. Erstmals seit Menschengedenken wollte Benno Bürgerschreck die CDU aus dem Rathaus verjagen. Dazu musste Wolle schwarz gefärbt und Kreide gefressen werden. Sein Trick: Während die AfD nur behauptet, sie sei die heutige Kohl-CDU aus den glorreichen 1990er Jahren, verpasste er seiner SPD Neuss wirklich und glaubhaft diesen Anstrich. Er sorgte dafür, dass der heutige Chefredakteur des aufgrund der Tageszeitungs-Schwäche wichtigen Anzeigenblättchens, Stefan Menciotti (Größe: 1,98), in den SPD-Schützenzug „Weiße Rose“ auftauchte und seitdem mit Reiner Breuer im Gleichschritt marschiert. Benno organisierte, dass sein Freund von der Rheinischen Post, Regionalausgaben-Chef Ludger Baten, als Breuers Pate für die konservativ-katholische und elitäre Bürgergesellschaft agierte, wo Breuer jetzt wie die so genannten „Heiligen Familien“ um den mächtigen Werhahn-Clan (Diamant-Mehl, Solinger Klingen) anerkannt ist.

Ein wenig Rache war mit im Spiel. Mit dem Altmeister der CDU, Dr. Heinz Günther Hüsch (Ex-MdB), galt es eine Rechnung zu begleichen, denn der habe als Oberaufseher des Lukaskrankenhauses des Sozis Ehefrau Dr. Suzanne Jakubassa eine Neusser Karriere als Chefärztin nicht gegönnt, obwohl diese in Bethlehem geboren war und Neuss schließlich von Alt-68igern gerne als ein „mit Gebetbüchern überdeckter Scheißhaufen“ galt, was der schon geschwächte Kardinal Joachim Meisner vor dem Super-GAU des Jahres 2015 freilich nie so sah. Beinahe wöchentlich ließ er sich in Nüss, seinem Sehnsuchtsort, blicken. „Bei euch ist die Welt noch in Ordnung“, legte er dem langjährigen CDU-Parteichef Dr. Jörg Geerlings die rechte Hand auf die Schulter. Hier gab es traditionell Cardenal Mendoza, Meisners Lieblingsschabau aus Spanien. Auch wenn er oft gegen sie predigte und ihr das „C“ absprach, waren die von der treuen Neusser Union doch fest in der erzbischöflichen Kathedrale seines Herzens verankert. Nach Breuers Sieg geht es dem uralten Oberboss der Neusser CDU plötzlich gesundheitlich blendend. Für Dr. Heinz Günther Hüsch ist es keine Option, dass ein Sozialdemokrat die Grabesrede hält. Hüsch wird noch zehn Jahre durchhalten.

Genosse Reiner Breuer thront immer noch im einst schwarzen Rathaus der Stadt am Rhein, die als treueste Tochter Kölns bezeichnet wird und so wie es aussieht, kann er dort bleiben, weil die  CDU nun dauerhaft gegen ihn einen verkopften Professor als Parteichef aufstellt, der weit weg vom Herzschlag der Normalbevölkerung agiert und für null Emotionen sorgt. Dabei hatte Breuer kurzzeitig den bürgerlichen Weg verlassen, um seinen Jusos zu gefallen. Er ballerte beim Nazi-Dosenwerfen auf eine Donald-Trump-Büchse, der von den Jungsozialisten bei einem Volksfest auf eine Ebene mit Hitler gestellt wurde. Daraufhin protestierte der mächtige Chef der deutsch-amerikanischen Gesellschaft, Thomas Schommers, und forderte Breuer zum Rücktritt auf. Heute ist der gewichte Schommers Neusser FDP-Chef und sagt Breuer den politischen Kampf an. Schließlich habe Neuss den USA viel zu verdanken und es sei schlichtweg schäbig, den demokratischen gewählten Präsidenten des Verbündeten in einer Linie mit Hitler zu sehen.

Schützenfest sitzt Bürgermeister Reiner Breuer mit dem Chef der in Neuss ansässigen Rüstungsfirma Rheinmetall, Olaf Hedden, in einer Kutsche und lädt die Manager zu Handball-Spielen ein. Jenes Unternehmen, dass Waffen in den arabischen Raum liefert und nach Meinung von Erzbischof Dr. Rainer Maria Woelki eine Mitschuld an Leid, Krieg und Flüchtlingsströmen trägt. Auch hier meckern viele echte Sozis über eine allzu freundliche Nähe zum Waffenkonzern, der im Neusser Hafen für Arbeitsplätze und Wohlstand sorgt. Dass Woelki von seinem Hauptfeind, dem Nievenheimer Pastor Klaus Koltermann, genannt „Poltermann“, permanent destabilisiert wird, hat auch etwas mit Borussia Mönchengladmbach zu tun. Woelki ist Köln-Fan, Kolti Fohlen-Anhänger. Nicolas Krämers Herz schlägt für den HSV.

Dabei wird Neuss nicht immer ernst genommen und mitunter belächelt. Nachdem WDR-Intendant Tom Buhrow stundenlang in Frack und Zylinder als Ehrengast die Schützenparade abhalten musste, stoppte er darauf die zur Tradition gewordene Live-Übertragung des Neusser Schützenfest-Sonntags, was die in ganz NRW bekannte Karnevals-Sängerin Marita Köllner, die auf Volksfeste steht, gar nicht verstehen kann. Als sie auf einem Partyschiff der Köln-Düsseldorfer (KD) ihren 50. Geburtstag feiert, stellt sie dem ersten Stellvertretenden Bürgermeister Jupp Müller einige Freunde aus Neuss vor. Das kölnische Urgestein frotzelt nach dem zehnten Glas Kölsch: „Us Nüüss kütt nüüx…“ Die Delegation war pikiert.

Aus Neuss kommt nichts? Ohne die Neusser wäre Köln nichts. Kardinal Frings kommt aus der Quirinius-Stadt, die sich mit Trier streitet, ob sie die älteste in Deutschlands ist. Thomy- Mayonnaise, Paniermehl, Maoam und Tempo-Taschentücher sowie ein Durchfall-Medikament werden aus Neuss auch nach Köln exportiert und wir dürfen annehmen, dass auch Jupp Schmitz diese Produkte konsumiert. Seit dem Eklat orientiert sich die Stadtspitze stärker nach Düsseldorf.

Genosse Reiner Breuer will Neuss im Schatten der Landeshauptstadt wirtschaftlich stark machen. Er ist der Genosse der Bosse, lässt aber die einfachen Leut´ nicht aus den Augen. Während zu CDU-Zeiten die Stadtwerke bei alleinerziehenden Müttern oft den Strom und alle Energie abdrehten, weil sie ihr Hartz-Geld lieber für Kippen, Tattoos oder künstliche Fingernägel ausgaben, was den Säuglingen dunkle Wohnungen und kalte Nahrung bescherte, kommt dies heute nicht mehr vor. Gemeinsam mit Stadtwerke-Chef Stephan Lommetz, wie Breuer ein praktizierender Christ, sorgt die Kommune dafür, dass kleine Kinder in Neuss immer eine warme Wohnung haben. Beide Männer sind sich zudem auch einig, dass es gegen den Trend im Neusser Südbad echte Currywurst aus Schweinefleisch geben darf und auch beim Schulessen die Muslime durch vorauseilenden Gehorsam der Catering-Firmen nicht mehr bestimmen, was auf den Tisch kommt. Zeitgleich intensiviert Breuer die Freundschaft zu türkischen Partnerstädten. Dies alles ist rheinisch, kommt gut an. Und so gilt der fleißige Aktenfresser trotz der bundesweiten Schwäche der SPD als Favorit für die kommende Bürgermeisterwahl. Das wäre die dritte Amtszeit. Alles, was dreimal gemacht wird, ist in Neuss schon Tradition.  Frank Möll

 

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