Neuss/ Dormagen/ Berlin. Heute pünktlich zur Tagesschau hat ein großer Neusser für immer die Augen zugemacht. Dr. Heinz Günther Hüsch starb soeben (Dienstag) friedlich zuhause im Kreise seiner Familie. Rheintoday war seit gestern auch in Gedanken ganz nah bei ihm. Chefredakteur Frank Möll und der alte Hüsch kennen sich seit 1985. Möll war damals ein ganz junger Reporter, Hüsch war Bundestagsabgeordneter in Bonn. Am heutigen Mittag, als er noch seinen hochkalorienreichen Shake verweigerte und nur noch schlafen wollte, schrieb der Chronist, der ihn so lange begleitete diese Zeilen nieder. Sie sind nicht mehr aktuell, denn Hüsch lebt nicht mehr:
Mit 94 Jahren blickt er auf ein erfülltes Leben zurück, auf seine fünf Kinder, elf Enkel und zehn Urenkel. Heinz Günther wird voraussichtlich bald sterben (wenige Stunden nach dieser Niederschrift trat der Tod ein, Anm, d Red.). Wir haben keine Ahnung, denn Jesus ruft auch ihm zu: Du kennst weder Tag noch Stunde, daher sei bereit! Angst vor dem Tod hat er nicht, denn er geht nicht ohne Hoffnung. Hier auf Erden ist er umgeben von einer liebevollen Familie, doch seine Mutter starb, als er fünf Jahre alt war. So ein Schmerz für das kleine Kind! Wie unendlich groß ist die Sehnsucht, sie endlich wiederzusehen. Sein Vater, ein berühmter Arzt, hat zwar neu geheiratet, aber eine viel zu früh verstorbene Mutter, das ist für einen so kleinen Jungen die erste Traumatisierung in einem langen, erfüllten und gefahrvollen Leben.
Wie? Wiedersehen? Ja, genau das glauben die Christen. Dr. Heinz Günther Hüsch, ein „Titan“ wie sein Parteifreund Professor Dr. Sven Joachim Otto sagt, glaubt an sein ganz persönliches Ostern. Seine Auferstehung führt ihn ins wahre Paradies zu Gott, Jesus, Maria, zu seiner Schwester, seiner Frau Marga und all´ den vielen Freunden, die alle schon tot sind- und die er so sehr vermisst. „Ich vermisse sie alle so sehr“, sagt er leise.
Ein Titan reißt sich zusammen. Dr´ Hüsch (der Hüsch), wie es auf seinen Wahlplakaten zum Deutschen Bundestag stand, rief uns jungen Reportern vor 35 Jahren zu: „Schreibt, dass meine Lieblingsspeise rheinische Rievkooche sind“. Unzählige knusprige Dinger haben wir in all´ den Jahren gemeinsam vertilgt. Gerne fettige Reibekuchen mit Rübenkraut. Liebend gern die rechts am Eingang des Schützenzeltes auf der Neusser Festwiese, wo ich für den Altmeister gern in der langen Schlange stand.
Und heute? Seine Kinder meinen es gut und schieben dem nicht mehr hungrigen Titan hochkalorienreiche Drinks zu, die er angewidert ablehnt, um wieder ein wenig zu schlafen. Ins Krankenhaus will er nicht. Sterbehilfe lehnt er ab. Braucht er auch nicht. Seine berühmte Fernseh-Tochter Hanni Hüsch (ARD) sagte mir neulich noch, ich könne ihren Vater gerne vormittags besuchen, wenn die Haushaltshilfe da ist. Der Altmeister hasst es, wenn er Besuch bekommt und nicht akkurat, sondern eher lässig gekleidet ist. Wohlmöglich noch in Strickjacke wie der alte Kohl… Mit dem Bundeskanzler der Einheit saß er oft nachts zusammen und erörterte mit ihm unter vier Augen und vier Ohren die Lage in Europa.
Jetzt aber, kurz vor dem Eintritt in das ewige Leben, ist die Zeit der engsten Familie. Da gehört kein „Fremder“ hin. Er ist so stolz auf alle seine Kinder. Nicht nur auf die bundesweit bekannte Hanni oder den Anwalt Cornelius, nein auf alle! Richtiges Nüsser Platt hat er ihnen nicht in Perfektion beigebracht. „Die Mundart stirbt leider aus“, sagt er. Dabei ist unsere Muttersprache so poetisch, so tiefgründig und menschlich. Für seine Eltern war in der Erziehung lupenreines Hochdeutsch die erste Wahl, obwohl Dr´ Hüsch immer diesen herrlichen rheinischen Singsang in seiner Sprache nutzt. Wie auch ein Adenauer, den er gelegentlich im Quirinusmünster traf, wo er schon als siebenjähriger Junge ministrierte. Seine kampfstarke Messdiener-Gruppe war der Gegenpol der Hitlerjugend in Neuss. Zeitzeugen erinnerten sich, dass die Hüsch-Truppe der HJ bei den Straßenschlachten keinesfalls unterlegen war. Da flogen die Fetzen. Die Hüschs waren Anhänger der katholischen Zentrums-Partei.
Der Titan wirkt heute mit 94 Jahren zwar fein, belesen und überzeugt durch gute Manieren, doch als deutscher Spitzenhandballer in der höchsten Spielklasse (ab 1945) ließ er es an „internationaler Härte“ nie vermissen. Warum er ausgerechnet mich als Chronisten seiner Laufbahn mochte und bis zuletzt im Kontakt stand, mir Briefe und Päckchen nach Stürzelberg schickte? Vielleicht weil auch ich Obermesdiener und Handballer war. Allerdings nur in der Halle und nicht auf dem Feld, wo niemand der Recken nach dem Spiel warm duschte. Er besuchte mich gern in Dormagen und gab unserer Ortszeitung gerne Interviews, weil er wusste, dass seine Hausmacht nicht etwa Neuss ist, sondern die CDU-Mitgliederverbände Grevenbroich, Rommerskirchen und Dormagen, die allem, was aus Neuss kam, kritisch bis ablehnend gegenüber stehen. „Die Nüsser denken wunders, wat se wöre“, sagten die. „Aber wenn wir schon einen aus Neuss aufstellen, dann den Hüsch.“ Sie spürten, dass er gerne in der Arbeiterstadt Dormagen war, wo es mit dem Erzengel Michael einen richtig starken Stadtpatron gibt, der den Drachen mit dem Schwert tötete und den Teufel auf seinen Platz (wer wie Gott?) verwies. Das ist mal ein kraftvoll-mächtiger Stadtpatron! Sankt Quirinus us Nüss war ja nur ein Gefängniswächter, nichts Genaues weiß man nicht. Auch nicht, was die neun Kugeln bedeuten…
Hüsch hat viele Denkmäler konzipiert und aufgestellt. Immer ging es ihm um die einfachen Leute. Dem legendären Kanalarbeiter, der als Bronzeskulptur aus dem Abwasserschacht schaut. Oder dem Erft-Kadetten, der schwere Säcke schleppen muss und dafür gesorgt hat, dass es dem Hafen und der Industriestadt Neuss gut geht. Oder das Relief „wenn die Ernte ist vorüber“ – eine Erinnerung an die harte Feldarbeit der Bauern. Er verkörpert wie kein anderer die Volkspartei und war als mächtiger CDU-Chef oftmals auch Oppositionsführer gegen den eigenen Bürgermeister, so dass junge Sozis wie Reiner Breuer gar nicht gebraucht wurden. Der rächte sich nun am Altmeister mit den durchtriebenen Akt, ausgerechnet die ehemalige Bundestagspräsidentin und parteiinternen Konkurrentin Rita Süßmuth zur Neusser Ehrenbürgerin zu machen. Eine Frau, die zwar viel für die Frauenrechte, Gedöns und einem weiblicheren Deutschland getan hat, aber in Neuss nur privat und nicht öffentlich lebte, für Neuss als Stadtgemeinschaft selbst nicht groß in Erscheinung trat. Anders als Hüsch, der die Stadt maßgeblich prägte. Dass der erste sozialdemokratische Bürgermeister so kleinkariert ist und Hüsch diese Ehre verweigert, kommt nicht gut, zumal Breuers langjähriger Parteichef Benno Jakubassa dem alten Hüsch längst verziehen hatte, dass dieser seine Ehefrau Suzanna (eine tolle Ärztin) eine Anstellung im städtischen Lukaskrankenhaus verweigerte. Daraufhin holte Aachen sie als Chefärztin. Wenn es um Neuss ging, trafen sich der katholische Messdiener Benno Jakubassa (SPD) und der Messdiener Heinz Günther Hüsch (CDU), um in Geheimgesprächen Wege zur Problemlösung zu finden. Sogar dann noch, als Hüsch kein offizielles Amt mehr bekleidete, aber qua natürlicher Autorität noch ein „Basta“ ausrufen konnte. Über Reiner Breuer ärgerte sich D´r Hüsch nicht „Ganz kleines Karo“ findet sich überall. Nachtragend sein. Das ist unrheinisch. So war der alte Hüsch nicht, den alle „Altmeister“ nennen.
Heinz Günther Hüsch war bereits als 16-Jähriger der jüngste Teilnehmer an der Gründungsversammlung der CDU Neuss. Und das, obwohl die damalige englische Besatzungsmacht eine Teilnahme eigentlich erst ab 18 Jahren erlaubte. Von 1956 bis 2009 war Hüsch ununterbrochen Mitglied im Rat der Stadt Neuss, von 1968 bis 1987 Parteivorsitzender in Neuss. Zwischen 1966 und 1976 war er Mitglied des Landtags von Nordrhein-Westfalen. Von 1976 bis 1990 war er stets direkt gewählter Abgeordneter des Deutschen Bundestags. Selbst der politische Gegner bescheinigt ihm Zuverlässigkeit, Sachlichkeit, Redekunst und die Tatsache, dass man „sich immer auf sein Wort verlassen“ kann. Übrigens auch auf seinen Geldkoffer, mit dem er durch Europa reiste, um in Paris, Rom oder auch in Neuss hunderte Millionen D-Mark an rumänische Gesandte zu übergeben, um deutsche Bürger freizukaufen. Bundeskanzler Helmut Kohl ließ das Geld über die Commerzbank Neuss auszahlen. Hüsch bekam von den rumänischen Diplomaten nie eine Quittung. Nach dem Zusammenbruch der Diktatur tauchte aber ein Kassenbuch in Bukarest auf. Keine einzige D-Mark hatte Hüsch abgezweigt.
„Ja, Heinz Günther Hüsch hat nicht nur unsere Stadt mit geprägt, sondern auch weit darüber hinaus gewirkt. Insbesondere seine Rolle als Verhandlungsführer beim Freikauf von über 200.000 Rumäniendeutschen aus dem kommunistischen Machtbereich in den freien Westen ist von herausragender Bedeutung und verdient allergrößten Respekt“, zeigt der Neusser Landtagsabgeordnete Dr. Jörg Geerlings auf.
Der Kaufmann Sebastian Rosen erinnert sich an seine ersten Gehversuche als junger Kommunalpolitiker im Rat der Stadt Neuss. Er erlebte wie neue Wilde wie Große-Brockhoff oder Reinartz Hüsch in die Suppe spuckten. „Dann war ich aber positiv überrascht, dass Hüsch den Sohn des Rebellen, Tobias, unterstützte und ihn junge Konzepte für die Union vortragen ließ.“ Sippenhaft war nicht die Leitschnur des Altmeisters.
Der Kommunal- Bundes- und Europapolitiker Dr. Heinz Günther Hüsch hinterlässt als Titan, der nicht mehr unter uns lebt, eine große Lücke. Auch als Vater und vor allem als Opa. Neuss hat einen liebevollen Großvater verloren.
Frank Möll